Vor dem Start
Als ich mich Anfang des Jahres beim Lakes ’n’ Knödel anmeldete, saß ich erst seit einem Jahr regelmäßig auf dem Rad – und war sofort fasziniert. Schnell kam ich per Insta über die bekannten Ultra-Cyclerinnen Jana Kesenheimer und Marei Moldenhauer mit Ultra-Rennen in Kontakt. Die Distanzen, der wenige Schlaf, die endlosen Stunden im Sattel – all das erschien mir zunächst unvorstellbar. Doch die Neugier, die eigenen Grenzen zu verschieben, ließ mich nicht los. Mein Ziel war klar: einfach „nur“ finishen. Noch nie zuvor war ich in so kurzer Zeit so weit oder so hoch auf meinem Gravelbike unterwegs gewesen.
Anfangs erzählte ich kaum jemandem von meinen Plänen, schwankte zwischen Stolz und Selbstzweifel. Dass selbst erfahrene Fahrer:innen wie Jana ihre Unsicherheiten offen ansprechen, machte es mir leichter. Außerdem startete ich im Pair mit Flo. Wir konnten uns gegenseitig helfen, falls es notwendig sein sollte. Zwar kannten wir uns kaum, aber gerade das nahm Druck raus, so konnten nur gewinnen.
Ankunft in Fuschl am See
Das Setup steht, die Bahn ist pünktlich und der erste Blick auf den Fuschl-See lässt verheißen, was die kommenden Tage auf uns alle zukommen kann. Ein Tag zum Ankommen erweist sich als gute Idee – Vorfreude und Aufregung halten sich die Waage. So können mich auch die letzten nervösen Gespräche über die richtige Übersetzung beim Social Ride nicht verunsichern. Beim Riders Briefing am Samstagabend fällt mir auf: weniger FLINTA* als erhofft. Was mir dann auch im Verlauf deutlich wird: Viele der Flinta*, so wie auch ich, treten im Pair an oder fahren – sicherheitshalber? – mit anderen Menschen zusammen. Auch wenn die Szene in den letzten Jahren diverser geworden ist, liegt der Anteil von FLINTA* selten bei 50 %. Die Gründe sind vielfältig und einen eigenen Text wert – ich möchte mit diesem Bericht bestenfalls dazu beitragen, dass mehr Menschen sich trauen, an Bikepacking-Events teilzunehmen und die Szene mitzugestalten.
Trotzdem merke ich: Alle hier sind offen, herzlich, es wird hier und da ein Gespräch mit den unbekannten Sitznachbar:innen geführt, alle sind gespannt, was die kommenden Tage auf uns zukommen wird. Es liegt eine positive Anspannung und Vorfreude in der Luft!
Es geht los
Montag, 8 Uhr: Start. Die letzten feucht-kalten Nebelschwaden hängen noch in der Luft, doch ist Sonne angesagt. Nach dem ersten Anstieg folgt direkt die erste Hike-a-Bike-Passage. Für mich ist der steile Trail mit meinem Setup und meinen Skills nicht fahrbar. Ich schiebe, um nichts zu riskieren. Nachdem sich das Fahrer:innenfeld bereits etwas zerstreut, fahren Flo und ich in den immer schöner werdenden Tag – bis mein Begleiter zunehmend mit Magenproblemen kämpft. Jetzt heißt es, Rücksicht nehmen und ein bisschen langsamer machen. Insgeheim denken wir beide über die bevorstehende Anstrengung nach. Wir wollen aber erst einmal optimistisch bleiben und genießen die Tagesetappe mit insgesamt acht Seen, einem wunderschönen Sonnenuntergang und dem Schlusssprint zum Supermarkt sehr. Immer wieder auf der Route holen wir andere Teilnehmende ein – oder wir werden eingeholt. Wir tauschen miteinander freudige Worte aus, alle sind gelöst – nun endlich radelnd unterwegs zu sein.
Allein weiter
Nach der ersten Nacht folgt ein strahlender Sonnenaufgang, der Mond ist noch nicht einmal untergegangen. Jetzt wird klar, was sich gestern schon abzeichnete: Flo kann nicht weiterfahren. Ich bin etwas traurig darüber, insbesondere für Flo, dass unser gemeinsames Abenteuer nun schon endet. Da ich mich aber so wohl in der Umgebung und auf dem Rad fühle und weiß, dass noch viele Menschen von Lakes ’n’ Knödel um mich herum fahren, fühle ich mich auch allein total sicher.
Dieser Tag wird für mich zu dem schönsten des gesamten Events. Im „Arbeitsmodus“ rolle ich durch vertraute Gegenden, über das Kaisergebirge bis ins Valepp, singe laut zu Musik und erreiche am Nachmittag den ersten Checkpoint – inklusive Knödel zum Refuelen. Südlich vom Schliersee treffe ich dann Katja, dort noch nicht ahnend, dass wir in den kommenden Tagen viel Zeit zusammen verbringen werden. Wir buchen im selben Gasthaus eine Unterkunft für die Nacht und brechen auch am kommenden Tag gemeinsam im Morgengrauen auf in Richtung Karwendelgebirge. Im gleichen Tempo fahren wir die ersten Höhenmeter des Tages bis zum Achensee. Dort setzt Regen ein. Die Stimmung wie das Wetter – getrübt. Doch Essen und die flachen Kilometer nach Pertisau geben neue Kraft. Es folgt eine lange und anstrengende Hike-a-Bike-Passage, der Einstieg ins Karwendel bis zur Plumsjochhütte. Wir schieben unsere Räder bei bis zu 25 Grad Steigung über einen Wanderweg, aber dafür ist die Stimmung mit den verhangenen Bergen sehr mystisch. In der Plumsjochhütte gibt es die Möglichkeit, die nasse Kleidung vor dem lodernden Kamin zumindest ansatzweise zu trocknen, während draußen nass-kalte 8 Grad auf unsere Weiterfahrt warten. Am Ende erfüllt mich der Tag mit Stolz: Der Aufstieg zum Karwendelhaus war bisher mein längster und technisch herausforderndster auf dem Fahrrad, ich konnte ihn sogar ohne Schieben bewältigen. Nach einer kurzen Pause bei Germknödel und Tee folgt eine lange Abfahrt, die ersten Sonnenstrahlen kommen heraus. Dann endet der Tag in Scharnitz. Dort repariere ich erst einmal meine Schaltung, mein Umwerfer bewegt sich gar nicht mehr, doch das kann ich zum Glück beheben. Dabei fließen allerdings die ersten Tränen, denn mein rechtes Knie lässt mich beim Hocken während der Reparatur im Stich.
Ab jetzt schmerzhaft
Der vierte Tag führt uns durch ein wunderschönes Tal bis nach Ehrwald. Den Zugspitzblick kann ich kaum genießen. Bereits seit dem Morgen tun beide Achillessehnen ziemlich weh von der ungewohnten Belastung während der gestrigen Schiebepassage. Bewegung hilft etwas, nach einer kurzen Pause fühlt sich aber alles wieder total steif an. Doch der Plansee entschädigt mit atemberaubender Kulisse.
Dann kommt der Aufstieg zum Breitenberg: steile Serpentinen, Geröll, die Sicht kurz vor dem wolkenverhangenen Gipfel liegt bei wenigen Metern. Die letzte kurze Strecke legen wir wieder schiebend zurück. Bis zum Grüntensee zieht sich der Weg gefühlt ewig hin. Eine Portion Pommes rettet unsere Stimmung.
Das Finale lässt auf sich warten
Freitag soll eigentlich der letzte Tag werden. Aber zehn Kilometer vor dem Checkpoint 3 habe ich den ersten Platten. Checkpoint 3 ist ein Fahrradladen, und ich nutze die Chance und lasse mir einen neuen Mantel aufziehen und Dichtmilch einfüllen, während ich mich um 8 Uhr morgens mit Knödel und Kaffee stärke. Kurz danach: Regen ohne Ende, wir werden nass bis auf die Knochen. Zitternd beraten wir uns im Supermarkt: Nur noch 75 Kilometer bis zum Ziel, aber auch noch über 2000 Höhenmeter, insbesondere die Abfahrten machen uns Sorge. An Weiterfahren ist nicht zu denken, wir frieren zu sehr. Unser Ziel heute war das Finish – und nun priorisieren wir unsere Gesundheit. Die Suche nach einer Unterkunft gestaltet sich schwierig, schlussendlich teilen wir uns in der Not ein Einzelzimmer und liegen nach heißer Dusche mit Daunenjacke unter der Decke, um irgendwie warm zu werden. Was mich besonders ärgert: Nachdem wir die Unterkunft bezogen haben, ist es den gesamten restlichen Tag zwar bewölkt, aber trocken. Hätten wir auf den Regenbericht geschaut und uns eine Stunde untergestellt, hätten wir an diesem Tag ins Ziel kommen können. Alles ein Learning, wenn auch ein sehr frustrierendes. Wie andere Teilnehmende mit dem kalten, nassen Wetter umgegangen sind, konnte ich auf Instagram nachvollziehen: für zwei Stunden ins Wellnesshotel, saunieren und schlafen im Wasserbett, während die Kleidung im Trockner trocknet. Großartig!
Gut erholt und mit starken Beinen nehmen wir dann am Samstag die letzten Kilometer in Angriff. Eine Mischung aus Vorfreude auf das Ziel und den mittlerweile starken Schmerzen der Achillessehnen prägen den Tag. Zwei Almabtriebe mit ihren pompös geschmückten Kühen und ohrenbetäubenden Glockenschlägen sind eindrucksvolle Ablenkungen. Aber die allerletzten Kilometer sind brutal – statt der erwarteten fahrbaren Abfahrt bekomme ich eine holprige, matschige Kuhweide, für meine Achillessehnen zu dem Zeitpunkt einfach nicht mehr fahrbar. Meine Tränen fließen, und ich sehe die verbleibenden Kilometer nur noch verschwommen. Und dann ist endlich das Ziel in Sichtweite. Ich kann nun doch lächeln, denn Katja und ich werden jubelnd empfangen und sofort umsorgt.
Alle berichten von ihren vergangenen Tagen, und es ist total schön, die Menschen wiederzusehen, die mir eh die letzten Tage immer wieder am Weg begegnet sind, mit denen ich Kilometer und Unterkünfte geteilt habe. Mit den anderen bei Sonne, Essen und Getränken das Erlebte zu feiern, rundet den Abschluss richtig schön ab.
Was bleibt
Über 700 Kilometer, fast 14.000 Höhenmeter, drei Knödel und unzählige Seen später bin ich stolz: auf meine Leistung, meinen Körper, auf das Verschieben der ein oder anderen Grenze. Natürlich lief nicht alles nach Plan, anderes dafür umso besser: Ich habe großartige Menschen kennengelernt, erlebt, dass Zusammenhalt und Spaß im Vordergrund stehen. Technisch gab es kaum Probleme, ich hatte keinerlei Sitzprobleme, blieb von Knieschmerzen verschont – und vor allem weiß ich: Das war erst der Anfang! Da geht noch mehr!